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November 2000 |
Nirgends
richtig zu Hause |
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Mit
der Aktion "Za Djaka" unterstützt die Gruppe "Gewaltlos
Leben" Kinder ohne beide Eltern in Bosnien
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Sie
leben bei der Großmutter, bei Tanten, Schwestern oder Schwägerinnen. Bosnische Kinder, die während
des blutigen Krieges in Jugoslawien ihre Eltern verloren, haben nichts mehr. Ihre Pflegeeltern
sind arm. Wer dort aufwächst, hat kaum Chancen, ohne Bildung gar keine. Mit dem Projekt "Za Djaka"
("für Schüler") will die kirchliche Gruppe "Gewaltlos leben" die oft traumatisierten Kinder
unterstützen, damit sie wenigstens in die Schule gehen können.
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Vor
mir liegen die Bilder unserer Bosnienfahrt: der bunte Markt in der Stadt,
die Ruinen unterwegs, die Minenfelder - kilometerlang an den
Seitenstraßen. Ich sehe halb aufgebaute
Lehmhütten,
zerfallene und zerschossene "Neubauten" in den Kleinstädten, wo
"unsere Kinder" wohnen. Schon allein diese
"unbelebten" Fotos lassen mich nicht wieder zur Ruhe kommen.
Dann aber Dutzende Kinderbilder: "Kinder ohne beide
Eltern" heißen die auf bosnisch. Sie wohnen bei irgendwelchen Verwandten im Land verstreut
und die kirchliche Arbeitsgruppe "Gewaltlos Leben" will 30 von ihnen zur Bildung helfen.
30 von Hunderten, 30 in einem Land, dass von den Medien und von den großen
Hilfsorganisationen
fünf Jahre nach dem Krieg so gut wie vergessen ist. 90 Prozent Arbeitslosigkeit,
in der Stadt zwei
mal zwei Stunden Wasser am Tag, Müll im ganzen Land, kein Geld, kaum Wiederaufbau, keine Rede von
wirklichem Wieder- Zusammen-Leben mit den "Anderen". Wer da heute aufwächst, hat wenig Chancen.
Ohne Bildung, ohne Freunde gar keine.
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Dort
wollen wir ansetzen mit dem neuen Projekt "Za Djaka" (für
Schüler). Eine bosnische Hilfsorganisation hat uns diese 30 Kinder ans
Herz gelegt, wir haben von allen Passfotos, Biografien und erste Briefe.
"Gewaltlos leben" lässt nun jedem Kind im Monat 50 DM zukommen.
Das ist viel Geld für die und für die meisten von uns auch. Aber wir
sammeln das unter uns, Monat für Monat. Einige der Kinder dort brauchen
die Unterstützung allein für den Schulbus, andere, damit Oma und Enkel
etwas zu essen bekommen.
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Wir
haben uns in kleinen Gruppen zusammengetan und diese zeichnen
verantwortlich, dass die Aktion funktioniert. Lange soll das dauern.
Hinfahren sollen so viele Gruppenglieder wie möglich. Herkommen sollen
später vielleicht mal die Kinder. Freundschaften sollen daraus werden,
wir haben sehr aufgepasst, wer von uns welche Kinder "nimmt".
Und nun waren wir dort: zwei Lehrerinnen, der Fotograf aus Frankfurt und
ich. Wir haben für die ersten vier Monate Geld gebracht und Schulzeug,
Rechner, Hefte, Stifte. Und wir haben nun noch mehr Kinder auf den
Bildern.
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Der
Vater ist "für Bosnien gestorben"
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Da
ist Munib Omerovic. Munib ist gerade in die Schule gekommen. Er lebt mit
seiner Oma in einem kleinen Raum. "Wir besitzen nichts",
erzählt die Großmutter. "Nichts. Wir dürfen nichts säen oder
anbauen. Alles hier gehört den Serben. Und wenn die im März kommen,
müssen wir hier raus." "Wohin?", fragen wir.
"Vielleicht kriegen wir ein Zelt", sagt sie. |
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Da
ist Adis Hadzic, neun Jahre. Wir müssen aus dem Auto raus und eine halbe
Stunde bergab und bergauf laufen. Das unverputzte kleine Haus steht
völlig isoliert auf der Wiese. Dort hat ein Scharfschütze die Mutter
neben dem Jungen erschossen. Der Vater ist "für Bosnien
gestorben". Die Oma ist fast blind, der Opa schaufelt im Winter den
weg über die Wiesen in die Schule frei. Jetzt baut er selbst Stein für
Stein das Haus für den Enkel an der Straße, damit der später mal
leichter in die Schule kann.
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Da ist die
14-jährige Zlatka. Die Mutter ist "weg", der Vater gefallen.
Sie wohnt bei einer Tante in Bugojno und geht dort in die Schule.
"Ich lerne ganz viel ", erzählt sie, "da kann ich am
Wochenende zu Oma und Opa und zu meinem Hund Djeki." Bei denen im
Dorf gibt es keine Schule. Oft aber fährt sie auch dorthin, wo sie mal
zuhause war. Alles stundenlange Busfahrten, Zlatka ist nirgendwo richtig
zuhause. "Jetzt will ich schnell Deutsch lernen, damit ich mich mit
euch unterhalten kann." |
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Das
waren nur drei der vielen Schicksale, die mich aufwühlen, die mich zum
Eingreifen mehr als nötigen.
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Andere
sensibilisieren und Sponsoren suchen |
Die
ganze Gruppe "Gewaltlos leben" ist "genötigt", ist
konkret "dran". Wir Fahrer werden zu unserem zentralen Treffen
in Schönburg bei Naumburg vom 17.-19. November berichten, was wir gesehen
haben und was uns seitdem prägt. Wir müssen aber auch mit allen
entscheiden, wie wir mit Kinder umgehen, die uns vor Ort noch
"dazugegeben" wurden. Wir müssen andere sensibilisieren,
Sponsoren suchen, die Bilder, die uns so bewegen, richtig
professionell umsetzen und verbreiten. Wir müssen Verständnis in unserer
Kirchenleitung erwirken, der Fotograf hat sich an die UNESCO und das Rote
Kreuz gewandt, die Bilder sprechen ja für sich.
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Die
Gruppe "Karat" will sich unserer Sache annehmen. Die Landrätin
von Saalfeld- Rudolstadt, Marion Philipp, hat die
"Schirmherrschaft" über "Za Djaka" übernommen. Wir
freuen uns auch über jede kurz- oder langfristige Hilfe, die Sie uns
zukommen lassen.
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