"Glaube und Heimat" zur Rüstzeit am Boracko Jezero
 

Nr. 35 
vom 1. 9. 2002
14. Sonntag
nach Trinitatis


Im Blickpunkt

 

Foto: Thomas Eichler
Hilfsprojekt »ZA DJAKA«: Eine gemeinsame Rüstzeit mit Kriegswaisen in Bosnien
Am »See der Kämpfer«

Die kirchliche Arbeitsgemeinschaft »Gewaltlos leben« gestaltete eine Rüstzeit in Bosnien mit den Waisenkindern aus dem Projekt »ZA DJAKA«. Der Thüringer Pfarrer Jo Winter schildert seine Eindrücke.

Seit zwei Jahren betreiben wir von »Gewaltlos leben« das Projekt »ZA DJAKA« für Kriegswaisen in Bosnien. Inzwischen sind es 33 Kinder zwischen 8 und 18, die wir betreuen, die wir besuchen, denen wir Schulzeug und immer wieder etwas Geld bringen. Ihre Lage hat sich kaum verbessert: Muhidin läuft weiter Tag für Tag eine Stunde bergab zur Schule. Manchmal sieht die Lehrerin, dass er früh noch nichts gegessen hat. Nachmittags zwei Stunden bergauf.
Die Oma der Zwillinge Husmir und Hasmir hat immer noch kein Möbelstück – und ich kenne die Stelle unter dem Teppich, wo sie unsere »Mitbringsel« versteckt. Eine andere Oma hatte im Mai einen Schlaganfall. Zwei aus unserer Gruppe, Wolfgang und eine Ärztin, haben sie einmal besucht und ihr einen Rollstuhl gebracht. Jetzt ist sie gestorben. Eine Tante muss die beiden Kinder Senaid und Senada irgendwie weiter versorgen.
Zlatka wohnt nun bei Verwandten in Jajce, weil sie dort ins Gymnasium gehen kann. Sie hat uns gezeigt, wo sie jeden Tag auf dem Schulweg am Grab des Vaters vorbeigeht. Was geht da immer wieder in dem Mädchen vor? Letztlich können wir alle uns nicht reindenken. Äußere Verbesserungen nur bei zweien: Ernad und Almir konnten mit ihrer Tante aus dem einen Zimmer im Neubau vorübergehend in ein kleines Haus umziehen. Traumatisiert sind die Kinder fast alle. Einige haben aber auch körperliche Schäden oder Narben.
Vieles haben wir in diesem Sommer genauer gesehen und erfahren: Wir haben ein Vorhaben verwirklicht, das für uns fast eine Nummer zu groß war. 55 »Gewaltlose« fahren nach Bosnien und erleben mit diesen Kindern eine Ferienwoche am »Boracko Jezero«, am »See der Kämpfer«. Ein aus dem Krieg berüchtigter Ort, hinwärts zerstörte Häuser, ein ehemaliges Pionierlager. Wiederhergestellt – und 100 Betten für alle in kleinen, sauberen Bungalows. In denen haben wir eine ganze Woche mit »unseren« Kindern zusammengelebt. Wie große und kleine Familien! Einige haben sich dort erstmalig gesehen, andere sind neu in unserer Gruppe. So war das für viele erst der eigentliche Start in die Aktion »ZA DJAKA«. Und das ging gut. Mal eine Woche »freundlich« miteinander auf engstem Raum hausen – das bindet zusammen. Lebenslänglich!?
Viel Freizeit: Schwimmen, Volleyball, Spiele vorm Haus, Erzählen oder einfach nur Beieinandersitzen. Jeden Tag aber ein andrer Schwerpunkt: ein Abend zum Kennenlernen, eine Wanderung an die unbeschreiblich grüne Neretva, ein Sportfest, eine Fahrt nach Mostar. Wenigstens die berühmte alte Brücke wird seit dem 1. Juli wieder aufgebaut. Ansonsten: Ruinen und Friedhöfe – nur im Basar wieder Betrieb. In der Moschee ein Gespräch mit dem Mufti über den Krieg und seine Folgen für die »kleinen Leute« in Mostar, über unversöhnliche »Christen«, über Saudis, die ganz Bosnien mit ihrer rigorosen Variante des Islam überziehen wollen. Wir aber haben am Schluss miteinander beten können.
Dann ein »Tag der Sinne und Gefühle«: Weil wir uns ja trotz Bosnischkurs und Dolmetschern nur sehr eingeschränkt verständigen können, wurde einen Nachmittag lang gerochen, geschmeckt, geguckt, gehört, gemerkt und angefühlt. Das größte Erlebnis dabei: Der »Weg«: Jede »Familie« baut einen Abschnitt aus verschiedenem Material. Und danach führt jeder jeden barfuß drüber!
Ein andermal hat ein »Baum« eine große Rolle gespielt: Den hatten wir mitgebracht – aufgemalt auf zwei mal drei Meter Leinwand. Am ersten Abend wurden die Partner je miteinander fotografiert und die Sofort-Bilder auf »Blätter« geklebt und drangehängt. Später haben sie gemeinsam andere »Blätter« mit ihren Friedenssymbolen bemalt und alles mit Kranichen ergänzt. Ein symbolischer Baum für Bosnien! Zuletzt haben die bosnischen Kinder zusammen mit den deutschen Gewaltlosen einen richtigen Friedensbaum gepflanzt. Der soll wachsen.
Ein Filmteam der Hochschule Dortmund hat uns begleitet. Filme und Fotos sollen dokumentieren, wie die Kinder jeden Tag munterer und fröhlicher wurden! Wir haben es dankbar hingenommen, wie rundum Vertrauen sichtbar gewachsen ist und Freundschaften begonnen haben.
Natürlich war da auch Stress! Ich habe mich um die Problemfälle gekümmert – Seelsorge unter ganz anderen Voraussetzungen! Und ich habe den Kindern endlich mal unser Papier »Gewaltlos leben« erklären können: WARUM wir als Christen irgendwelchen fernen Moslem-Kindern helfen. Da sagten plötzlich von sich aus ein paar Größere lange Sätze mit viel »Dankeschön«. Dabei hatten wir Leiter und viele andere feuchte Augen.
Als am Abschlussabend mit bosnischen Wasserbildern und Thüringer Plakaten, Lagerfeuer, gutem Essen und zusammen Singen, die bosnischen Kinder auch noch eigene Gedichte aufgesagt haben, wurde dann richtig viel geheult. Lampenfieber und Abschiedsschmerz.
Nun muss ich hier Briefe übersetzen mit »Puno volim te, Elli«: »Ich liebe dich sehr, Elli!« Ein Mädchen schreibt: »Ich hoffe, es folgen noch viele andere Begegnungen.« Ja, schon im September wollen wieder ein paar von uns hin.
Zu unserem Jahrestreffen Anfang November in Schönburg (bei Naumburg) haben wir Mirela und Almin eingeladen. Die sind so traurig, weil sie wegen Prüfungen nicht mit am See sein konnten. Zu dem Treffen wird auch der erste Film uraufgeführt. Später wohl öffentlich-rechtlich. Und: Wir bauen eine neue professionelle Fotoausstellung auf. Mit dieser können Sie uns ab September jederzeit in Ihre Gemeinden einladen. Unser Projekt lebt ja vom Weitersagen und ausschließlich von unseren und anderen Spenden. Jetzt ist die Gruppenkasse erstmal so gut wie leer. Uns sind aber so klare Sätze, wie sie Sedina schreibt, wesentlicher: »Es gibt keine Worte, mit denen ich meine Dankbarkeit ausdrücken könnte – nicht nur für ein solches großes Ereignis in unserem Leben, sondern für jede Kleinigkeit, die Ihr mit uns gemacht habt.«

Kontakt:
»Gewaltlos leben«, Maria Winter, Langenschade Nr. 3, 07333 Unterwellenborn,
Telefon: 03671/635752, http://www.gewaltlos-leben.de/

Bankverbindung:
Kreissparkasse Saalfeld-Rudolstadt,
BLZ: 83050303,
Kontonr.: 1117408

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