Die
kirchliche Arbeitsgemeinschaft »Gewaltlos leben« gestaltete
eine Rüstzeit in Bosnien mit den Waisenkindern aus dem Projekt
»ZA DJAKA«. Der Thüringer Pfarrer Jo Winter schildert seine
Eindrücke.
Seit zwei Jahren betreiben wir von
»Gewaltlos leben« das Projekt »ZA DJAKA« für Kriegswaisen in
Bosnien. Inzwischen sind es 33 Kinder zwischen 8 und 18, die
wir betreuen, die wir besuchen, denen wir Schulzeug und immer
wieder etwas Geld bringen. Ihre Lage hat sich kaum verbessert:
Muhidin läuft weiter Tag für Tag eine Stunde bergab zur
Schule. Manchmal sieht die Lehrerin, dass er früh noch nichts
gegessen hat. Nachmittags zwei Stunden bergauf. Die Oma
der Zwillinge Husmir und Hasmir hat immer noch kein Möbelstück
– und ich kenne die Stelle unter dem Teppich, wo sie unsere
»Mitbringsel« versteckt. Eine andere Oma hatte im Mai einen
Schlaganfall. Zwei aus unserer Gruppe, Wolfgang und eine
Ärztin, haben sie einmal besucht und ihr einen Rollstuhl
gebracht. Jetzt ist sie gestorben. Eine Tante muss die beiden
Kinder Senaid und Senada irgendwie weiter versorgen.
Zlatka wohnt nun bei Verwandten in Jajce, weil sie dort
ins Gymnasium gehen kann. Sie hat uns gezeigt, wo sie jeden
Tag auf dem Schulweg am Grab des Vaters vorbeigeht. Was geht
da immer wieder in dem Mädchen vor? Letztlich können wir alle
uns nicht reindenken. Äußere Verbesserungen nur bei zweien:
Ernad und Almir konnten mit ihrer Tante aus dem einen Zimmer
im Neubau vorübergehend in ein kleines Haus umziehen.
Traumatisiert sind die Kinder fast alle. Einige haben aber
auch körperliche Schäden oder Narben. Vieles haben wir in
diesem Sommer genauer gesehen und erfahren: Wir haben ein
Vorhaben verwirklicht, das für uns fast eine Nummer zu groß
war. 55 »Gewaltlose« fahren nach Bosnien und erleben mit
diesen Kindern eine Ferienwoche am »Boracko Jezero«, am »See
der Kämpfer«. Ein aus dem Krieg berüchtigter Ort, hinwärts
zerstörte Häuser, ein ehemaliges Pionierlager.
Wiederhergestellt – und 100 Betten für alle in kleinen,
sauberen Bungalows. In denen haben wir eine ganze Woche mit
»unseren« Kindern zusammengelebt. Wie große und kleine
Familien! Einige haben sich dort erstmalig gesehen, andere
sind neu in unserer Gruppe. So war das für viele erst der
eigentliche Start in die Aktion »ZA DJAKA«. Und das ging gut.
Mal eine Woche »freundlich« miteinander auf engstem Raum
hausen – das bindet zusammen. Lebenslänglich!? Viel
Freizeit: Schwimmen, Volleyball, Spiele vorm Haus, Erzählen
oder einfach nur Beieinandersitzen. Jeden Tag aber ein andrer
Schwerpunkt: ein Abend zum Kennenlernen, eine Wanderung an die
unbeschreiblich grüne Neretva, ein Sportfest, eine Fahrt nach
Mostar. Wenigstens die berühmte alte Brücke wird seit dem 1.
Juli wieder aufgebaut. Ansonsten: Ruinen und Friedhöfe – nur
im Basar wieder Betrieb. In der Moschee ein Gespräch mit dem
Mufti über den Krieg und seine Folgen für die »kleinen Leute«
in Mostar, über unversöhnliche »Christen«, über Saudis, die
ganz Bosnien mit ihrer rigorosen Variante des Islam überziehen
wollen. Wir aber haben am Schluss miteinander beten können.
Dann ein »Tag der Sinne und Gefühle«: Weil wir uns ja
trotz Bosnischkurs und Dolmetschern nur sehr eingeschränkt
verständigen können, wurde einen Nachmittag lang gerochen,
geschmeckt, geguckt, gehört, gemerkt und angefühlt. Das größte
Erlebnis dabei: Der »Weg«: Jede »Familie« baut einen Abschnitt
aus verschiedenem Material. Und danach führt jeder jeden
barfuß drüber! Ein andermal hat ein »Baum« eine große
Rolle gespielt: Den hatten wir mitgebracht – aufgemalt auf
zwei mal drei Meter Leinwand. Am ersten Abend wurden die
Partner je miteinander fotografiert und die Sofort-Bilder auf
»Blätter« geklebt und drangehängt. Später haben sie gemeinsam
andere »Blätter« mit ihren Friedenssymbolen bemalt und alles
mit Kranichen ergänzt. Ein symbolischer Baum für Bosnien!
Zuletzt haben die bosnischen Kinder zusammen mit den deutschen
Gewaltlosen einen richtigen Friedensbaum gepflanzt. Der soll
wachsen. Ein Filmteam der Hochschule Dortmund hat uns
begleitet. Filme und Fotos sollen dokumentieren, wie die
Kinder jeden Tag munterer und fröhlicher wurden! Wir haben es
dankbar hingenommen, wie rundum Vertrauen sichtbar gewachsen
ist und Freundschaften begonnen haben. Natürlich war da
auch Stress! Ich habe mich um die Problemfälle gekümmert –
Seelsorge unter ganz anderen Voraussetzungen! Und ich habe den
Kindern endlich mal unser Papier »Gewaltlos leben« erklären
können: WARUM wir als Christen irgendwelchen fernen
Moslem-Kindern helfen. Da sagten plötzlich von sich aus ein
paar Größere lange Sätze mit viel »Dankeschön«. Dabei hatten
wir Leiter und viele andere feuchte Augen. Als am
Abschlussabend mit bosnischen Wasserbildern und Thüringer
Plakaten, Lagerfeuer, gutem Essen und zusammen Singen, die
bosnischen Kinder auch noch eigene Gedichte aufgesagt haben,
wurde dann richtig viel geheult. Lampenfieber und
Abschiedsschmerz. Nun muss ich hier Briefe übersetzen mit
»Puno volim te, Elli«: »Ich liebe dich sehr, Elli!« Ein
Mädchen schreibt: »Ich hoffe, es folgen noch viele andere
Begegnungen.« Ja, schon im September wollen wieder ein paar
von uns hin. Zu unserem Jahrestreffen Anfang November in
Schönburg (bei Naumburg) haben wir Mirela und Almin
eingeladen. Die sind so traurig, weil sie wegen Prüfungen
nicht mit am See sein konnten. Zu dem Treffen wird auch der
erste Film uraufgeführt. Später wohl öffentlich-rechtlich.
Und: Wir bauen eine neue professionelle Fotoausstellung auf.
Mit dieser können Sie uns ab September jederzeit in Ihre
Gemeinden einladen. Unser Projekt lebt ja vom Weitersagen und
ausschließlich von unseren und anderen Spenden. Jetzt ist die
Gruppenkasse erstmal so gut wie leer. Uns sind aber so klare
Sätze, wie sie Sedina schreibt, wesentlicher: »Es gibt keine
Worte, mit denen ich meine Dankbarkeit ausdrücken könnte –
nicht nur für ein solches großes Ereignis in unserem Leben,
sondern für jede Kleinigkeit, die Ihr mit uns gemacht
habt.«
Kontakt:
»Gewaltlos leben«, Maria Winter, Langenschade Nr. 3, 07333 Unterwellenborn,
Telefon: 03671/635752, http://www.gewaltlos-leben.de/
Bankverbindung:
Kreissparkasse Saalfeld-Rudolstadt,
BLZ: 83050303,
Kontonr.: 1117408
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